Nr. 23–24 | 20. Dezember 2019 FAHRZEUG UND TECHNIK 13 Drehsitz plus Klapptisch plus TV-Set überm Fahrerplatz ergibt veritable Wohnqualitäten. das Chassis quasi SchlechtwegPassagen, schluckt Querfugen extrem leise und ohne jegliches Gepolter – beeindruckend. Da ist den Scania-Akustikern eine Abstimmung gelungen, wie ich sie mag: Denn auch die Maschine – nach den Messwerten mit 59 bis 60 dB(A) sehr leise – ist in ihren tiefen Frequenzen durchaus hörbar, aber angenehm. Dazu kommt eine zielgenaue, in der Mittellage sehr spurtreue Lenkung, die dadurch auffällt, dass nichts an ihr auffällt. Insgesamt ergibt diese Konfiguration einen Mix, der sehr viel Komfort, gleichzeitig aber auch eine tolle Fühligkeit für die Straße vermittelt – mit einem Wort: Top! Eine ähnlich positive Grundstimmung vermittelt der ganze Antriebsstrang: Scania hat hier offensichtlich sehr viel Wert auf eine harmonische Leistungsentfaltung gelegt. Das fängt schon mit der nur moderat langen HinterachsÜbersetzung an. 1.200 Touren bei 85 km/h – das hatten wir schon lange nicht mehr bei einem Fernverkehrszug. Heute tendiert man mit ellenlangen Übersetzungen ja eher dazu, die Drehzahl auf unter 1.100, manchmal sogar schon in die Nähe von 1.000 Umdrehungen zu drücken. Das ist meistens auch sehr sparsam und gelingt mit genügend Drehmoment in der Mitte auch ohne Murren und Knurren der Maschine. Das Antriebskonzept dieses S 540 ist deshalb eine Gratwanderung zwischen müheloser Fahrbarkeit mit einem relativ hohen Drehzahlniveau und einem akzeptablen Verbrauch. Beispiel: Auf der Landstraße sucht der Scania bei 65 km/h förmlich Kommentar von Robert Domina, Ressortleiter Test und Technik Heute Diesel, morgen Fuel Cell Das Jahr ist vorbei, der letzte Test 2019 hiermit abgeliefert. Der Protagonist: Immer noch ein reinrassiger Diesel. Nix Hybrid oder E-Truck. Erdgas-Trucks hatten wir von Iveco, Scania und Volvo. Stichwort LNG: Für mich lupenreines Greenwashing. Denn die Wirkungsgrade der Motoren mit Otto-Prinzip (Ausnahme: HPDI-Verfahren von Volvo) sind so schlecht, dass der chemische Vorteil in der CO2-Bilanz gleich wieder aufgefressen wird. Jedenfalls so lange wir hier fossiles Erdgas verschüren, was zu 99,9 Prozent der Fall ist. Wäre nicht die verbriefte Mautfreiheit der „Gaserer“ und der künstlich billig gehaltene Treibstoffpreis – LNG hätte keine Chance in Europa. Aber: Elektrisch tut sich was. Endlich. So langsam kommen die Hersteller in die Puschen. Zumindest bei den mittelschweren Trucks gibt es bereits kaufbares bei Volvo und MAN. Mercedes erforscht zusammen mit seinen Kunden wohl am gründlichsten, was elektrisch beim zwei- und dreiachsigen Solo-Lkw geht. DAF hat schon leichte Sattelzugmaschinen für die Lebensmittel-Distribution in Kundenhand. Und sogar Iveco – bislang hoffnungslos LNG-verliebt – hat nun mit den Amis von Nikola einen festen Entwicklungspartner für Batterie- und Brennstoffzellen-Trucks. Hoffentlich wird das was. Ach ja: Oberleitungs-Experimente gibt es ja auch noch. Auf wenigen, sündteuren Versuchsstrecken laufen Hybrid-Trucks mit Hirschgeweih. Was als Eisenbahn lange bekannt ist, soll also jetzt auf die Straße transformiert werden. Wie abwegig. Für mich ist dieses Jahr jedenfalls einiges klargeworden: Es wird noch dauern mit E-Mobilität im schweren Güterverkehr. Ich sehe die Brennstoffzellen-Technik hier als die rationellste und reellste Chance, dezentrale Wasserstoff-Gewinnung vorausgesetzt, vorzugsweise mit Strom aus Wind und Sonne natürlich. Was noch keiner so richtig auf dem Schirm hat: Gelingt die Transformation in eine CO2-neutrale WasserstoffMobilität, bedeutet das gleichzeitig das Aus der allzu aufwändigen Batterietechnik. Und wenn wir genügend „grünen“ Wasserstoff hätten: Was spricht dagegen, ihn direkt in einem Verbrenner zu verheizen? Das spart die Brennstoffzelle und die immer noch notwendigen Pufferbatterien. Darüber sollten wir mal sinnieren. Ein paar ruhige Stunden dafür wünschen ich Ihnen herzlichst. nach Gelegenheiten, im höchsten und direkt durchtreibenden Gang zu kurbeln. Dann brabbelt der Sechszylinder zufrieden wie ein Baby mit nur 900 Touren vor sich hin. Er kann das – Dank seines für den Hubraum enormen Drehmoments. Rauscht den Berg hoch Oder an den Autobahnsteigungen: Besonders am Kindinger Berg sehen wir, was hier möglich ist. Unsere erste Bergauffahrt lassen wir ja den Tempomat machen: V-Setz ist 84 km/h (nach GPS), VEingang ist 89 km/h – das sind unsere Regeln für jeden Test. Beim S 540 passieren hier sehr clevere Algorithmen; und das nicht im Eco-, sondern im Normal-Programm. Kaum ist der 89er Schwung am unteren Messpunkt verbraucht, legt der Computer selbstständig ein „Angasen“ oder Upspeed ein und beschleunigt am Beginn der ersten Steigung nochmal kurz auf 87 km/h. Das ist schon mal bemerkenswert. Und dann rauscht der Schwede den Berg hoch, ohne auch nur einmal in den Elften zu schalten. So was haben wir in dieser Form und in dieser Leistungsklasse noch nicht erlebt. Wir machen die Gegenprobe und fahren denselben Abschnitt im „Power Mode“. Die anderen Einstellungen bleiben gleich. Ergebnis: Der Computer schaltet gleich am Beginn der Steigung in Elf und verharrt dort, bis die ganze Bergetappe erledigt ist. Gefühlt rennt man dabei richtig flott den Berg hinauf. Mühelos wie es scheint. Die Wahrheit ist: Wir sind nur acht Sekunden schneller (3:22 min zu 3:30 min), haben aber zwei Zehntel mehr Sprit verblasen (fast 13 Prozent!). Das heißt: Wir haben hier einen Antriebsstrang, der wie selten exakt auf unsere Topographie ausgelegt ist. Hut ab. Dazu kommt natürlich die immer noch konkurrenzlos ge- Scanias kann man auch nur mit dem Daumen fahren: Die Cruise- Control-Zentrale auf sechs Uhr erlaubt unabhängig einstellbare Bergab-Geschwindigkeiten. naue Arbeitsweise des Scania GPS-Tempomat namens Active Prediction. Ich meine: Wir ha- ben ja den Vergleich und sehen an den immer gleichen Stellen, wie dieser oder jener Tempomat rechnet und reagiert. Und da ist es schon bemerkenswert, dass Active Prediction nach wie vor der einzige GPS-Tempomat ist, der sich traut, auch schon mal zwei Gänge auf einmal zurück- zuschalten – so wie es ein guter Fahrer an dieser oder jener Stei- gung tun würde. Auch die Einbindung des ver- lustfreien Freewheeling-Retar- ders ist offenbar sehr genau be- rechnet: Während andere sich in langen Gefällen rein auf den Re- tarder (sofern vorhanden) verlas- sen, scheint der Scania mit dem Ölquirl ganz genau seinen Tem- peraturhaushalt zu steuern: Und da hängt man sich eben nicht nur an die Retarderturbine und wartet, bis die so heiß wird, dass man runterschalten muss. Hier wird die Motorbremse schon früh und fein dosiert mit eingesteu- ert und so die programmierten Bergab-Geschwindigkeiten sehr exakt eingehalten. Dass damit etwas mehr Lärm für die Umwelt entsteht, kann man als Nachteil werten, ein ausgeglichener Tem- peraturhaushalt steht dagegen. Wir halten fest: Der S 540 ist eine beeindruckende Fahrma- schine. Fein abgestimmt, und zwar auf Leistung und gleichzei- tig beste Fahrbarkeit. Der über- raschend günstige Verbrauch (unter herbstlich-winterlichen Bedingungen erfahren) nötigt einem Respekt ab. Und macht – kurios – den S 540 zum V8-Killer im eigenen Hause. rod Auf Türfühlung: Wer breitbeiniges Sitzen bevorzugt, findet sein linkes Knie im stetigen Kampf mit dem Tür-Zuzieher. Technische Daten: Scania S 540 Highline Motor, Bauart Scania DC 13 166 540, R6, EinzelZylinderköpfe, Wastegate Turbolader Abgasaufbereitung SCR-System mit AdBlue-Einblasung, Partikelfilter Einspritzverfahren Scania XPI, Common Rail, Einspritzdruck bis 1.800 bar Motorgewicht (trocken) 1.126 kg Hubraum 12,8 Liter Leistung 397 kW (540 PS) bei 1.800/min Drehmoment 2.700 Nm bei 1.000–1.300/min Scania S 540 R6 397 kW(540 PS)/1.800 550 500 450 Leistung 400 350 = 520 PS V8 300 Nm 250 2700 2600 200 2500 Drehmoment 150 2400 2300 2200 PS 2100 2000 1900 1800 1700 800 1000 Drehzahl 1200 1400 1600 1800 2000 Im Vergleich zum 520er V8 (graue Linie) liefert der 540er aus sechs Zylindern genau das gleiche Drehmoment. Nach oben hin gibt’s sogar Extra-Leistung, die den 520er V8 praktisch überflüssig macht. Spezifische Leistung 31 kW pro Liter Hubraum Ölwechselintervall Bis zu 100.000 km oder 1x pro Jahr Getriebe Scania GRS905R, automatisiertes 12-Gang-Range-Getriebe Spreizung 16,41 -1,0 R 14,77 - 11,95 Achsübersetzung 2,59 Drehzahl bei 65/85 km/h im höchsten Gang 905/1.180/min Minimale Rangiergeschwindigkeit bei 500/min 0,7 m/s oder 2,4 km/h Bremsen Dauerbremsen Scania R4100D, 4.100 Nm oder 500 kW max. Bremsmoment Motorbremsleistung 242 kW bei 2.400/min, maximale Bremsleistung mit Retarder 742 kW EBS, Scheiben vorne und hinten, FeBremsanlage vorne/hinten derspeicher an HA, automatische Feststellbremse Sicherheits- und Assistenzsysteme Active Prediction ohne Pulse & Glide; Notbremsassistent mit Kollisionswarner; Aufmerksamkeitsassistent; Spurhalteassistent; ACC, ESP, Hill-Holder Achsen und Fahrwerk Rahmen Scania F700, 7 mm Rahmenstärke, Höhe 270 mm Vorne Starre Faustachse an 2-Blatt Prabelfedern, Stabi Hinten Starrachse an 4-Balg-Luftfederung, Differenzialsperre Lenkung Bosch, 4,7 Umdrehungen von links nach rechts, Lederlenkrad 45 cm Ø, in Höhe und Neigung verstellbar Bereifung Michelin X-Line, v. 385/55, h. 315/70 R 22,5, Aluräder Fahrerhaus Scania Highline Fahrerhaus S mit ebenem Boden, 4-Punkt-luftgefedert, Stehöhe 207 cm, 1-Bett-Ausstattung mit hohen Schränken hinten oben und vorne, Komfortbett unten, B x L 80–100 x 200 cm, Kühlbox 30 Liter, 7-Zoll-Doppel-Din-Screen mit Radio, Navi. Fahrersitz Premium Maße Radstand 3.750 mm Breite x Höhe SZM inkl. Dachspoiler 250 x 398 cm Höhe 1. Stufe/Fahrerhausboden 36/160 cm B x H x T großer Staukasten außen 55 x 40 x 870 cm Höhe Ladekante Staukasten über Boden 163 cm Tankvolumen Diesel/AdBlue 400/40 Liter Gewichte Leergewicht SZM gewogen 7.735 kg inkl. 1 Fahrer, Tanks voll, kein Reserverad Zul. Achslasten vorne/hinten 7.500/11.500 kg Test-Gesamtgewicht 38.800 kg Auf einen Blick + - Nicht zu lang übersetzt, perfekte Triebstrang-Abstimmung mit sehr guter Drehmoment-Nutzung, straffe Kabinenaufhängung, exakte Lenkung, Motorgeräusch, Schaltstrategie GPS-Tempomat. Zu wenig Knieraum an Türverkleidung links. © 2020 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigungen auf Datenträgern jeglicher Art sind verboten. HUSS-VERLAG GmbH · Joseph-Dollinger-Bogen 5 · 80807 München · Tel. +49(0)89 / 32391-0 · Fax -417 · www.transport.de
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